„Die Reichstagswahlen sollen im September 1920 stattfinden“ titelte die Hannoversche Allgemeine Zeitung am 31. Januar 1920. Elfriede Meyer, Bewohnerin der AWO Residenz in Sehnde, sitzt in einem großen Sessel in ihrem Zimmer und zeigt lächelnd auf die historische Ausgabe: „Die ist am Tag meiner Geburt erschienen.“ Heute feiert Meyer ihren 103. Geburtstag im Rahmen ihrer Familie und Gästen und kann auf ein langes Leben zurückblicken.
Geboren wurde sie in einer Zeit des Umbruchs: Die junge Weimarer Republik erlebte zunächst einen Aufschwung, der jedoch zum Ende des Jahrzehnts ein böses Ende nahm. „Dann kam eine Zeit der Not und des Hungers, was den Aufstieg des wahnsinnigen Hitler begünstigt hat“, erinnert sich Meyer, die körperlich und geistig top fit ist, an ihre Kindheit. Die früh erlebte Wirtschaftskrise und die ebenfalls wirtschaftlich schwere Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie sehr geprägt. „Ich kann es nicht ertragen, wenn Dinge leichtfertig weggeworfen werden – besonders Lebensmittel.“ Sie habe erlebt, wie Menschen um Fallobst bettelten – heute fliege es sofort in den Mülleimer. Doch eine Gesellschaft dürfe keine Wegwerfgesellschaft sein, mahnt sie.
Meyer wuchs auf dem elterlichen Bauernhof in Wassel auf, den sie später mit ihrem Mann übernahm. Ihr Berufswunsch war eigentlich ein anderer. „Ich habe die Handarbeit geliebt.“ Aber sie habe es sich nicht aussuchen können. Da ihre Schwester heiratete und wegzog, übernahm sie die Verantwortung, den auf Ackerbau spezialisierten Hof weiter zu betreiben. Die Schule beendete sie im Alter von 14 Jahren, schon früh arbeitete sie hart – im Haushalt und auf dem Feld. „Es war ja damals alles schwere Arbeit mit den Händen“. Trotzdem habe sie immer Zeit und Energie für eines ihrer Lieblingshobbys gehabt: den Sport. „Mein Vater fragte mich jedes Mal wieder, wie ich es schaffe, nach der harten Arbeit abends noch Sport zu treiben“, erinnert sie sich und lacht. Meyer spielte Handball im örtlichen Sportverein und später begann sie mit der Rückengymnastik. „Das habe ich gemacht, bis ich 94 wurde.“
Arbeit, Sport und die Familie waren die wichtigsten Säulen in ihrem Leben. Mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann, den sie beim Einkaufen in Hannover kennengelernt hatte, bekam sie drei Kinder. „Die Geburt der Kinder war die schönste Zeit meines Lebens“, erzählt Meyer, die heute sieben Enkel und 2 Urenkel hat. Als Zeitzeugin erlebte sie turbulente Jahrzehnte und prägende Politiker, die viele heute nur aus den Geschichtsbüchern kennen. Von den deutschen Kanzlern habe sie Adenauer und Schmidt gern gemocht. „Beide haben Deutschland vorangebracht“, so Meyer. Mit Freude beobachte sie, wie sich die Rolle der Frau über die Jahrzehnte verändert habe. „Früher mussten wir einfach nur gehorchen, heute können wir mitreden.“
Bis vor drei Jahren lebte sie auf ihrem Hof in Wassel – seitdem in der AWO Residenz in Sehnde, wo sie sich sehr wohlfühle. „Hier sind alle nett und lieb zu mir.“ Doch wie wird man 103 Jahre alt? Kein Alkohol, keine Zigaretten, viel frische Luft und Arbeit seien ihr Rezept fürs Älterwerden. „Und ganz viel Sport!“
Text & Fotos: Christian Degener/AWO